berlin barock : Berlin Barock

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Berlin Barock

Im Unterschied zu der gegenwärtig üblichen digitalen Bildbearbeitung möchte Susa Templin den Betrachter nicht täuschen. Schnittstellen und Klebespuren, hie und da eine abstehende Ecke, bleiben sichtbar und machen die Bearbeitung nachvollziehbar. Doch darf man sich von dem Eindruck des „Gebastelten“ nicht täuschen lassen, denn die Bilder sind sorgfältig komponiert. Das handwerkliche Verfahren ist Susa Templin auch als Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie wichtig, mit dessen Bedingungen, Begrenzungen, aber auch mit dessen Möglichkeiten. Denn mit dem ersten Schnitt kämpft sie gegen die „Tyrannei der Oberfläche“ an, wie es fünfzig Jahre zuvor Lucio Fontana nannte, der ebenfalls vom Barock fasziniert war. Mit jedem Schnitt gewinnt die Fotografie an Dreidimensionalität. Der auf ihr flach wiedergegebene ursprünglich dreidimensionale Raum gewinnt eine neue Dimension.
Landscaping nannte Susa Templin eine Reihe von Installationen für die sie monumental vergrößerte Aufnahmen von Bäumchen aus dem Modellbaubedarf, von kleinen Ästen und Blättern auf die Fassaden von großstädtischen Bürohochhäusern projizierte. Die Stadt wurde zu einem - nicht ganz ironiefreien - Traumwald. New York, wo die Künstlerin lange lebte, verwandelte sie in ein riesiges, leuchtend blaues Schwimmbad, indem sie Aufnahmen von Wasseroberflächen auf Ansichten von Wolkenkratzern collagierte und somit in der engen Hektik der Stadt die Möglichkeit einer schwerelosen Bewegung imaginierte.
Nun setzt sich Susa Templin mit Berlin auseinander. Sie baut die Gebäude und Hinterhöfe nach und nach in ein barocke Folly um. Sie entwirft Räume mit Formen und Farben, die kaum noch etwas mit den immer gleichen, tristen, grauen Hinterhöfen gemein haben. Auch heute noch wird dem Medium Fotografie, besonders der Architekturfotografie ein dokumentarischer Charakter zugesprochen - stand sie doch mit Nicephore Niépces Dachfotografien von 1826 am Anfang der Fotografiegeschichte. Doch Susa Templins Fotografien dokumentieren nicht die Wirklichkeit, sondern ihre eigenen Entwürfe, Wünsche, Imaginationen - „Proposals for the City“, wie sie die Künstlerin selbst nennt. Sie dokumentieren diese in dem nur vorübergehenden Zustand der selbstgebauten Modelle: Räume, die so in der Realität zuvor nicht existiert haben und danach auch nie existieren werden.
Vergeblich versucht der Betrachter sich in den Fotografien zurechtzufinden: Es gibt keinen Fluchtpunkt, die gewohnte Zentralperspektive weicht einer schwindelerregenden Mehrfachperspektive. Horizontale und Vertikale, die Koordinaten, an denen wir uns orientieren, werden aufgehoben, die Tektonik und Statik wird – wie bereits bei den New York Bildern - gesprengt. Außenansichten werden zu Rückwänden von Interieurs, es gibt keine klaren Grenzen zwischen innen und außen mehr und radikale Ausschnitte aus Gebäuden werden ohne Rücksicht auf Proportionen miteinander kombiniert. Zwischen die Ausschnitte aus realen Gebäuden schieben sich ornamentale Spiralformen, Rocailles schrauben sich durch sie hindurch. Farbbänder winden sich über die Mauern hinweg und quellen aus Mauerritzen hervor. Über die grauen Hinterhofhäuser legt sich ein gold-silbriges Schillern. So entstehen traumartige, zum Teil schwebende, funktionslose Räume, die sich aneinander reihen, überschneiden, immer neue Durchgänge öffnen.
Aber nicht bedrohlich wie die Carceri von Piranesi, strahlen sie eine traumhafte Magie aus. Trotz der vielen Eindrücke irrt das Auge nicht ruhelos im Bild umher, sondern wandert, klettert, tastet sich vorsichtig immer weiter in die Räume vor, wird immer tiefer hineingezogen, möchte neugierig mehr entdecken, sich in den Tiefen der Durchblicke verlieren. Was befindet sich hinter den sichtbaren Fassaden – Traumwelten à la Alice hinter den Spiegeln?
Die Nähe zum Barock wird deutlich, wenn man Heinrich Wölfflins Kunstgeschichtliche Grundbegriffe heranzieht, die bei zeitlich weit auseinander liegenden Kunstwerken denselben Stilwillen aufzeigen. Das in Massen und nicht in Linien denkende „Malerische“, die unterschiedliche Elemente zusammenfassende „Einheit“, die nicht klar abgegrenzten, „offenen Formen“, die „Unklarheit“ und die „Tiefe“ verbinden die Fotografien Susa Templins mit dem Barock.
Zwischen diese bearbeiteten Fotografien mischt die Künstlerin wenige unbearbeitete, mit denen sie uns zeigt, wie sie die Wirklichkeit wahrnimmt. Mit dem durch die Arbeit an ihren Modellen geschärften Blick entdeckt sie in ihrer Umgebung ähnlich surreal verkantete Raumsituationen, wie diejenigen, die sie in ihren Modellen baut. Manchmal ist es nur der von ihr zielsicher erkannte Ausschnitt, manchmal entdeckt sie – und schreibt sich damit in eine lange Liste von Fotografen ein– in der Spiegelung in Schaufenstern ihre Fantasiewelten in der realen Welt wieder.
Um die Zweidimensionalität des Mediums endgültig aufzuheben baut Susa Templin aus ihren Fotografien Rauminstallationen. So wird aus der abgebildeten Dreidimensionalität eine tatsächliche. Doch in gleichem Maße, wie die Fotografie als Skulptur an realer Tiefe gewinnt, verliert die Abbildung an illusionärer Tiefe: Der Durchgang, der sich in der Fotografie der Installation öffnet, ist der einzige im Zyklus Berlin Barock, der nur den Blick auf eine schwarze, undurchdringliche Fläche bietet.
Die Installation ist der momentan letzte Schritt von Susa Templins Auseinandersetzung mit der Fotografie als Skulptur, mit Fläche und Raum, mit Realität und Traumwelt: eine ephemere barocke Festarchitektur.
Katharina Raab
Text in der Publikation zur Ausstellung "BerlinBarock" in der Berlinischen Galerie, Museum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin vom 19.Oktober 2006- 23.April 2007